Kolonialheim Prellerstraße 1

Caroline Meyer zu Eppendorf und Paula Borzner

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Es ist ein heißer Samstagnachmittag im Jahre 1926, du spazierst mit Freund*innen die Straßen Weimars entlang und euch ist nach einer Erfrischung. Zu deiner Linken erblickst du ein Lokal – den „Viktoria-Garten“. Ihr begebt euch in das Gebäude und trinkt ein kaltes Bier, nebenbei genießt ihr die Musik, die aus dem Innenhof erklingt. Die Zeit vergeht wie im Flug, ihr amüsiert euch, lacht und seid in netter Gesellschaft. Im Anschluss kaufst du noch eine Postkarte, die vom Lokal angeboten wird, um dich an den schönen Nachmittag zu erinnern (siehe Abb Nr. 2).

In der Prellerstraße 1 befand sich vom Jahre 1908 bis 1947[2] der „Viktoria-Garten“: auf den ersten Blick ein gemütliches Lokal mit Konzertgarten. Hinter der Gaststätte verbarg sich jedoch eine äußerst problematische Institution: Das Weimarer Kolonialheim.

Zu dieser Zeit gab es einige Gäst*innen des „Viktoria-Gartens“, die Mitglieder des Kolonialvereins waren, aber vermutlich auch einige Besucher*innen, die ihr Geld dort ließen und das Lokal finanziell unterstützten, ohne sich damit auseinanderzusetzen, was dort vor sich ging.

Die inneren Räumlichkeiten des Lokals waren in ein Gästezimmer, ein Gesellschaftszimmer, einen Saal und eine Kegelbahn aufgeteilt.[3] Der Außenbereich bestand aus einem Garten mit angrenzender Musikhalle.

Ein Bild, das Pferd, draußen, gezeichnet, Fracht enthält.

Automatisch generierte Beschreibung
Fotobuch über Gaststätten in Weimar, Signatur 60 10-5/45 Bd.5 im Stadtarchiv; Fotograf unbekannt.

Der „Viktoria-Garten“ wurde nicht nur als Gaststätte und Konzert-Garten genutzt, sondern diente gleichzeitig als Veranstaltungsort für die Versammlungen des Kolonialvereins, welche immer am ersten Samstag des Monats stattfanden.[4] Das oben gezeigte Bild vom Garten stammt aus dem Jahre 1894.[5]

Nachdem Gäst*innen den „Viktoria-Garten“ besuchten, hatten sie die Möglichkeit, eine Postkarte zu verschicken, die das Kolonialheim anbot, um sich an den Besuch zu erinnern.[6]

Leiter des Kolonialheims war der Obersekretär Karl Hucke, der in der Herbststraße 15 wohnte. Das Kolonialheim verfügte neben Leiter Hucke und einem Schankwirt auch über einen eigenen Polizeiwachtmeister, Georg Flamm, der sich für die interne Sicherheit verantwortlich fühlte. Zudem organisierte der Verein eine „koloniale Jugendgruppe“ .[7]

1925 war das Gebäude im Besitz der schweizerischen Feldschlösschenbrauerei. 1925 ging der Besitz des Viktoria-Garten an den größten Konkurrenten der Feldschlösschenbrauerei – an die Deinhardt-Brauerei, die Stadtbrauerei Weimars.[8] Der Viktoria-Garten war wohlbekannt und beliebt in Weimar. Mit diesem Ort war der Kolonialverein also an einem zentralen gesellschaftlichen Ort Weimars vernetzt.

Text Box: Fotobuch von Postkarten aus Weimar, Signatur 60 3-5/20  im Stadtarchiv
Fotobuch von Postkarten aus Weimar, Signatur 60 3-5/20 im Stadtarchiv; Fotograf unbekannt.

Im selben Jahr pachtete der sogennante „Verein der Afrikaner, Ostasiaten und Kolonialfreunde Weimars“ den Viktoria-Garten, um ihr Kolonialheim zu erbauen.[9]

Dafür wollten sie den Oberkellner Alfred Raddatz einsetzen, der am 1. Juli 1925 Konzession, also Nutzungsrecht, anmeldete. Das Amt beantragte ein Führungszeugnis und weitere Nachweise, um abzuwägen, ob die Konzession gestattet werden sollte.[10]

Aus unbekannten Gründen zog Raddatz jedoch den Konzessionsantrag zurück. Als Nächstes übernahm der Schankwirt Otto Loeper die frei gewordene Stelle. Er reichte einen Antrag auf Konzession beim Stadtdirektor ein.[11] Loeper wurde, wie Raddatz, polizeilich geprüft. Der Antrag wurde am 28.07.1925 genehmigt und am 01.08.1925 öffnete das Kolonialheim seine Türen.

Zudem musste Loeper ebenfalls eine Erlaubnis als Schankwirt einholen. Diese erlaubte ihm, in bestimmten Räumen des Kolonialheims Branntwein, Bier, sowie Spirituosen auszuschenken. Loeper blieb jedoch nicht für die gesamte Zeit, in der das Kolonialheim bestand, als Schankwirt aktiv. Schon 1928 übernahm Friedrich Wehmeyer die Aufgabe des Schankwirts. Wehmeyer blieb nicht der letzte Schankwirt des Kolonialheims. In regelmäßigen Abständen kündigten die Schankwirte ihren Posten und gaben ihn an einen neuen weiter. Die Vorgänger wurden oftmals polizeilich verfolgt.[12]

Nachdem die Gründung des Kolonialheims in der Prellerstraße 1 beschrieben wurde, soll kurz erläutert werden, was die Tätigkeitsbereiche des hiesigen Vereins waren.

In erster Linie verfolgte der Kolonialverein das Ziel, den „Zusammenschluss aller Reichsangehörigen, welche im Militär oder Zivilverhältnis in kolonialen deutschen oder nicht-deutschen Besitz tätig waren, sowie aller Kolonialfreunde“[13] herbeizuführen, damit sich der Verein ein Netzwerk aufbauen konnte, in dem koloniale Ideen verbreitet wurden. Der Verein verankerte folglich koloniale Gedanken in der Weimarer Stadtgesellschaft.

Um dieses Netzwerk zu stärken, wurde ein Fokus auf die „Erhaltung und Pflege der internen Kameradschaft durch Austausch der Erlebnisse in den Kolonien“ gelegt. Ebenfalls war dem Verein nach eigener Beschreibung wichtig, die „Liebe und Treue zum Vaterland“ zu fördern und zu erhalten. [14] Hier lässt sich eine zutiefst nationalistische und völkische Gesinnung erkennen.

Ihre letzte Motivation war es „sich zur Pflicht zu machen, den kolonialen Gedanken im Volke zu verbreiten und ihm vor Augen zu halten, dass ein so großes Volk wie das Deutsche Kolonien und somit deren Erzeugnisse in Rohstoff usw. unbedingt braucht.“[15]

Durch diese Zielsetzung und Aufgaben wurden die zentralen kolonialen Grundgedanken des Kolonialheims definiert. Man merkt hier, wie anschlussfähig der Kolonialrevisionismus der Weimarer Zeit an die „Blut und Boden“-Ideologie des Nationalsozialismus war. Es ist davon auszugehen, dass viele Anhänger*innen des Kolonialgedankens auch Unterstützer*innen der NSDAP waren, da die Ideologie des Nationalsozialismus auf der des Kolonialismus aufbaute.

1947 plante die Deinhardt-Brauerei den Bau eines Kinos. Aus dieser Information ist zu schließen, dass ab 1947 die Prellerstraße 1 nicht mehr vom Verein gepachtet wurde. Diese Pläne wurden jedoch nicht durchgeführt und ab 1953 diente das Gebäude als Kohlelagerplatz der Brauerei.[16]

In der Prellerstraße 1 hat heute der Getränkefachmarkt Ronald Bock seinen Sitz. Als der Inhaber das erste Mal sein neu erworbenes Geschäft betrat, fand er an der Wand einen Kupferguss, auf dem das Kolonialheim und dessen Innenräume mit dem Spruch „Gruß aus dem Kolonialheim“, abgebildet waren. Dies war die einzige Hinterlassenschaft, die Bock fand.[17]

Der Getränkefachmarkt ist mittlerweile als beliebter Spätkauf bekannt und ein vielbesuchter Ort, an dem sich Studierende ihr Bier holen, nachdem die Türen der Supermärkte bereits geschlossen haben.

Es ist eine bedrückende Vorstellung, dass viele Weimarer*innen im Viktoria-Garten ihre Freizeit verbrachten, aus dessen Räumlichkeiten heraus gleichzeitig ein nationalistischer Kolonialverein agierte. Obwohl es sie zur Zeit der Weimarer Republik in fast jeder deutschen Stadt gab, und sie für das Fortbestehen einer kolonialistischen, nationalistischen und unterdrückerischen Ideologie eine wichtige Rolle spielten, gibt es an diesem Ort heute keinen kritischen Hinweis mehr, dass es das Kolonialheim jemals gab.


Endnoten

[1] Kupferguss aus privatem Besitz (Kolonialheim) von Ronald Bock

[2] Signatur Stadtarchiv Weimar: 60 3-2/20

[3] Konzessionsantrag Raddatz, Signatur Stadtarchiv Weimar: 60 0/10 und Bild von Ronald Bock

[4] Einwohnerbuch der Stadt Weimar, Oberweimar und Tiefurt, 1928, 1.Teil S. 24

[5] Fotobuch über Gaststätten in Weimar, Signatur 60 10-5/45 Bd.5 im Stadtarchiv Weimar

[6] Fotobuch von Postkarten aus Weimar, Signatur 60 3-5/20  im Stadtarchiv Weimar

[7] Einwohnerbuch der Stadt Weimar, Oberweimar und Tiefurt, 1928, 1.Teil S. 24

[8] Vgl. 60 3-2/20

[9] Einwohnerbuch der Stadt Weimar, Oberweimar und Tiefurt, 1928, 1.Teil S. 24

[10] Antrag auf Konzession, Signatur Stadtarchiv Weimar: 62 0/10

[11] Antrag Stadtdirektor, Signatur Stadtarchiv Weimar: 62 0/10

[12] Polizeiliche Verfolgung, Signatur Stadtarchiv Weimar: 62 0/10

[13] Einwohnerbuch der Stadt Weimar, Oberweimar und Tiefurt, 1928, 1.Teil S. 24

[14] Vgl. Fußnote 13

[15] Vgl. Fußnote 13

[16] Fotobuch von Postkarten aus Weimar, Signatur 60 3-5/20  im Stadtarchiv Bd. 13

[17] Persönliches Gespräch mit Ronald Bock vom 26.11.2019